23-05-2013 (20:30)
Der Anruf kommt um kurz nach zwei. Ein junger, sterbenskranker Mann geht ans
Telefon, und eine Stimme sagt: Wir haben ein passendes Spenderorgan für Sie.
Auf diesen Anruf hat er gewartet, diesen Anruf hat er gefürchtet. Soll er es
wagen, damit er weiter da ist für sein Kind? Er nimmt seine Tasche und lässt
sich ins Berliner Virchow-Klinikum fahren.
Von der Geschichte und Vorgeschichte dieser Organtransplantation handelt
«Leben»: von den langen Tagen und Nächten im Kosmos Krankenhaus neben den
wechselnden Bettnachbarn mit ihren Schicksalen und Beichten – einem
Getränkehändler etwa, der heimlich seine Geliebte besucht, oder einem
libanesischen Fleischer, der im Bürgerkrieg beide Brüder verlor. Beim Zuhören
bemerkt er zum ersten Mal, dass auch er schon ein Leben hinter sich hat. Und
da, in seinem weißen Raumschiff Krankenbett, unterwegs auf einer Reise durch
Erinnerungs- und Sehnsuchtsräume, kreisen die Gedanken: Wen hat er geliebt? Für
wen lohnt es sich zu leben? Und welcher Mensch ist gestorben, so daß er weiter
leben kann, möglicherweise als ein anderer als zuvor?
David Wagner hat ein berührendes, nachdenklich stimmendes, lebenskluges Buch
über einen existentiellen Drahtseilakt geschrieben. Ohne Pathos und mit
stilistischer Brillanz erzählt er vom Lieben und Sterben, von Verantwortung und
Glück – vom Leben, das der Derwisch eine Reise nennt.
David Wagner, 1971 geboren, debütierte im Jahr 2000 mit dem Roman «Meine nachtblaue Hose» und veröffentlichte in der Folge den Erzählungsband «Was alles fehlt», das Prosabuch «Spricht das Kind», die Essaysammlung «Welche Farbe hat Berlin» sowie den Roman «Vier Äpfel», der auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand. Für sein Buch «Leben» wurde ihm 2013 der Preis der Leipziger Buchmesse verliehen. David Wagner lebt in Berlin.