Programm

30-04-2022 (Samstag)

Finissage Hassina Taalbi: dicht neben ihnen

17:00

“Sich nicht anmaßen, ‘für’ oder - noch schlimmer - ‘über’ Frauen zu sprechen, bestenfalls neben und, wenn irgend möglich, dicht neben ihnen”                                                              - Assia Djebar

Die Ausstellungsreihe revisionen lädt Künstler*innen ein, neue und alte Sagen zu teilen, von Vorbildern und (weiblichen*) Visionen der Welt zu erzählen. Mit “dicht neben ihnen” begeben wir uns in das Universum von Hassina Taalbi und verknüpfen drei thematische Komplexe, mit welchen wir Taalbis Blick auf ihre Umgebung und sich selbst folgen.

Die gemeinsame Präsentation verschiedener Darstellungen weiblicher Figuren eröffnet einen Raum zur Diskussion, der in Taalbis Werken verarbeiten Stimmen und Praktiken.
In “Imzad” lenkt der Blick der Malerin unseren Blick auf eine tanzende Bewegung, darunter liegende Schichten geben weitere Zeichen zu erkennen. Der Titel verweist auf eine Tradition, welche seit 2014 immaterielles UNESCO-Weltkulturerbe ist. Das Imzad ist ein einsaitiges Instrument, das im Maghreb traditionell nur von Frauen gespielt wird. Damit einher geht eine alte Tradition weiblicher Weitergabe von Erzählungen und Mythen. In dieser mündlichen Form der Wissensvermittlung steht die Frau und ihr Körper im Zentrum einer dynamischen Geschichtsschreibung. Die Wirkungsmacht der Zeichnung der Tänzerin, des Blicks auf sie, ergibt sich durch die Subjektivierung der Praktik und der Bewegung als weibliche Form der Wissensweitergabe. 

In der Serie zu Hassiba Boulmerka deutet eine immer wieder ausgeführte Darstellung die im Laufen liegende Kraft und Stärke an. Die expliziten Formen dokumentieren ein sich V/vergewissern sich-gewisswerden, welches durch die Auflösung des Motivs in die immer wiederkehrende Bewegung des Körpers immer offensichtlicher wird. Die auf einzelne Pinselstriche reduzierte Silhouette lenkt den Blick auf das Elementare: die Stärke, auch politische Stärke, als die diese Bewegung gelesen werden kann. In den 1980er Jahren machte Boulmerka im Rahmen ihrer Erfolge immer wieder öffentlich auf die Rechte von Frauen aufmerksam. Während sie von der Frauenbewegung als Heldin gefeiert wurde, sah sie sich durch ihre Auftritte in kurzer Sportkleidung mit starken Anfeindungen von Extremisten konfrontiert. 

In ihrer Selbstdarstellung und in der Repräsentation von Frauen formt die Künstlerin eine polyphone Weiblichkeit. Der künstlerische Blick auf das Selbst offenbart zwischen Inszenierung und Dekonstruktion zahlreiche Facetten, während er sich an manchen Stellen in wilden Formen abstrahiert, ist an anderen ein Spiel mit Rollen und Bezugspunkten erkennbar. Als Antipode zum männlichen Blick Manet’s auf die Olympia blickt die nackte Frauenfigur hinter einem halbtransparenten Vorhang aus die Betrachter*in direkt an. Ein selbstreflexiver Blick manifestiert ein weibliches Sehen und die mit ihm verbundenen Möglichkeitsräume. Diese entstehen mit und durch die Aneignung dieser Geschichten und Körper, mit ihnen gemeinsam entwickelt die Künstlerin ein emanzipatorisches Potential. 

Die Kraft liegt hierbei vor allem in der Position “dicht neben ihnen”, den Stimmen von Assia Djebar, von Cheikha Rimitti, Hassiba Boulmerka und von zahlreichen weiteren. 

Mit herzlichem Dank an Anna Kücking, die durch ihren Filmbeitrag LAUFEN einen wichtigen Anstoß zur Auseinandersetzung mit der Werkserie Taalbis zu Hassiba Boulmerka gegeben hat. 

Text und Konzept von Sabrina Herrmann und Luise Willer.

Für diese Veranstaltung gilt die 3G+-Regel (geimpft, genesen oder getestet + Maske)